Obwohl der Aufstieg aus Armut in Deutschland schwer ist, setzt die große Koalition die Verbesserungsvorschläge der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) offenbar kaum um. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage hervor, die der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vorliegt. In ihrem im Sommer 2018 veröffentlichten Bericht "Ein kaputter sozialer Fahrstuhl" bescheinigte die OECD, dass Nachkommen armer Familien hierzulande sechs Generationen brauchen, um das Durchschnittseinkommen zu erreichen. Das wären 180 Jahre. In nordeuropäischen Ländern sind es nur zwei bis drei Generationen, im OECD-Schnitt fünf. Nur in Ungarn, Luxemburg und einigen außereuropäischen Ländern ist die Einkommens-Mobilität noch geringer. Die Organisation rief die Bundesregierung zu einem Bündel von Maßnahmen auf: Investitionen in die ganztägige Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung; Senkung der Abgaben für Gering- und Mittelverdiener; Anreize zur Vollbeschäftigung für Zweitverdiener sowie eine Erbschaftssteuer-Reform, um der hohen Vermögenskonzentration entgegenzuwirken. Auf Anfrage der Linken nach Erledigung dieser Hausaufgaben verwies das Arbeits- und Sozialministerium auf Reformen "in den vergangenen Jahren" sowie das Starke-Familien-Gesetz, das einen höheren Kinderzuschlag sowie mehr Geld für Schulmaterialien und kostenlose Mittagessen für Kinder ärmerer Familien vorsieht. Obwohl das Ministerium "Defizite" bei der sozialen Mobilität anerkennt, wird auf die konkreten Verbesserungsvorschläge nicht eingegangen. Linken-Sozialexpertin Sabine Zimmermann übte harsche Kritik: "Die Bundesregierung verschließt die Augen vor der sozialen Realität und ignoriert die Empfehlungen der OECD", sagte sie. "Wer soziale Mobilität erhöhen will, muss den gesellschaftlichen Reichtum umverteilen, den Arbeitsmarkt regulieren und Kindern gleiche Chancen verschaffen."
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hofft auf einen zügige Verabschiedung des Kompromisses zu Paragraf 219a. Sie sei sehr optimistisch, dass der Bundestag die Reform noch in dieser Woche verabschiede, sagte Nahles vor der Sitzung ihrer Fraktion am Dienstag in Berlin. Sie sprach von einem "sehr guten Kompromiss", der erzielt worden sei. Paragraf 219a untersagt das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Abtreibungen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht. Nach monatelangem Streit hatte sich die Bundesregierung auf einen Kompromiss für eine Reform geeignet, diese sieht eine Ergänzung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch vor. So sollen Ärzte und Krankenhäuser etwa auf ihrer Internetseite darüber informieren dürfen, dass sie Abtreibungen unter den gesetzlichen Voraussetzungen durchführen. Zudem soll die Bundesärztekammer eine ständig aktualisierte Liste der Ärzte und Krankenhäuser erstellen, die Abbrüche durchführen. Das Kabinett hatte den Entwurf Anfang Februar beschlossen. Bereits am vergangenen Donnerstag fand die Erste Lesung im Bundestag statt. Bei einer Anhörung am Montag äußerten sich Experten uneins über den Kompromiss. (Familienbund der Katholiken/Sascha Nicolai/KNA)