Das in dieser Woche im Bundestag zur Abstimmung stehende Gesetz für höhere Pflegelöhne ist weiterhin sehr umstritten. Vertreter von Zusammenschlüssen privater Pflegeanbieter lehnten den von der Bundesregierung bevorzugten allgemeinverbindlichen Tarifvertrag am Montag bei einer Anhörung im Arbeitsausschuss des Bundestags ab. Vertreter von kirchlichen Arbeitgebern, Gewerkschaften und SPD-nahen Anbietern sowie Experten äußerten sich hingegen zustimmend zur Tariflösung. Die Koalition aus Union und SPD sieht einen allgemeinen Tarifvertrag für die Pflegebranche als Königsweg vor. Auch Grüne und Linke unterstützen diese Lösung, bemängeln aber ebenfalls ein fehlendes Finanzierungskonzept. Dies kritisiert auch die FDP, die wie die AfD die Tariflösung jedoch ablehnt. Bei diesem Ansatz sollen die großen Arbeitgeber Caritas und Diakonie mit ihrem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht berücksichtigt werden. Die Gewerkschaft Verdi und die im Sommer gegründete Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) wollen einen Tarifvertrag aushandeln, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf die ganze Pflegebranche anwenden kann. BVAP-Vorstandsmitglied Gero Kettler warb wie auch andere dafür, dass ein Tarifvertrag mehr Möglichkeiten biete als die weitere Arbeit einer Mindestlohnkommission für die Pflege. Der Gesetzentwurf sieht als Alternative die Möglichkeit vor, über dieses Gremium die Mindestlöhne anzuheben. Das Gesetz muss noch durch den Bundesrat und soll bis Ende des Jahres in Kraft treten. Die Arbeitsrechtsexpertin des Katholischen Büros - der politischen Vertretung der deutschen Bischöfe - Uta Losem sagte, die Erstreckung eines Tarifvertrags sei auch in anderen Branchen üblich. Vertreter von kirchlichen Arbeitgebern zeigten sich ebenso zufrieden mit den Gesetzesplänen. Man müsse Regeln einführen, sonst mache der Markt, was er wolle, sagte Thomas Schwendele von der Caritas. Der Pflegeberuf müsse insgesamt attraktiver werden, mahnte auch der Personalvorstand der Diakonie, Jörg Kruttschnitt. Gute Pflege und gute Entlohnung seien eng miteinander verbunden. Der Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege der umsatzstärksten Anbieter, Thomas Greiner, warnte dagegen vor steigenden Kosten sowie höheren Zuzahlungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Die Regierung habe bislang keine Idee zur Refinanzierung höherer Löhne, sagte er. Weil ein Tarifvertrag die unternehmerische Freiheit einschränke, werde es mittelfristig "massive Probleme mit der Versorgungssicherheit" geben. Der Geschäftsführer des bpa Arbeitgeberverbands der kleineren und mittleren Anbieter, Sven Halldorn, argumentierte, dass die Pflegebranche im Unterschied zu vielen anderen durchreguliert sei, etwa was den Personaleinsatz, die Qualität und die Preise angehe. Der bpa macht verfassungsrechtliche Bedenken geltend und kritisiert unter anderem, dass Verdi und die BVAP die Branche nicht ausreichend repräsentierten. Auch sprach Halldorn von einem sehr weitreichenden Sonderrecht der Kirchen. Die privaten Anbieter machen nach eigenen Angaben etwa 50 Prozent des Marktes aus, die Kirchen rund 30.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) geht in die Offensive gegen den Pflegenotstand: "Kommende Woche starte ich mit meinem Ministerium eine breite Kampagne, um junge Menschen für die Pflege zu gewinnen und über die Chancen der neuen Pflegeausbildung zu informieren", sagte Giffey im Interview der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag). Zum neuen Jahr werde das Schulgeld in der Pflegeausbildung abgeschafft und eine angemessene Ausbildungsvergütung für alle Auszubildenden abgesichert. "Das ist ein riesiger Schritt nach vorn." Zugleich werde die Ausbildung inhaltlich attraktiver, ermögliche einen Abschluss in Kinderkranken- oder Altenpflege und ein anschließendes Studium. "Pflege ist viel mehr als 'satt und sauber'. Dafür müssen wir jetzt Menschen gewinnen", betonte sie. "Dann ist das gemeinsame Ziel zu schaffen, die Zahl der Pflege-Azubis in fünf Jahren um zehn Prozent zu steigern." Um Angehörigen die Möglichkeit zu geben, bedürftige Eltern zu pflegen, erwägt die Ministerin Entlastungen. "Es gibt die Idee für ein Familienpflegegeld, also eine Lohnersatzleistung nach Vorbild des Elterngeldes. Das könnte es pflegenden Angehörigen ermöglichen, in Teilzeit zu arbeiten oder zeitweise ganz aus dem Beruf auszusteigen. Ich habe Sympathien für dieses Konzept. Wir prüfen das." Zwar wäre dies "mit erheblichen Kosten verbunden", betonte die SPD-Politikerin, ergänzte aber: "Die Angehörigen sind der größte Pflegedienst in Deutschland. Das ist eine Leistung, die nicht hoch genug geschätzt werden kann." Angesichts des verheerenden Personalmangels in der ambulanten und stationären Pflege mahnte Giffey zu Geduld. "Es braucht Zeit", sagte sie. "Die neuen Kolleginnen und Kollegen fallen nicht vom Himmel." Sie verwies neben der neuen Pflegeausbildung auf weitere Maßnahmen: "Das Gesetz für bessere Pflege-Löhne ist im Bundestag. Die Arbeitsbedingungen werden verbessert, etwa durch Digitalisierung. Und die Bemühungen laufen, Pflegekräfte aus dem Ausland zu gewinnen, weil wir alle Möglichkeiten nutzen müssen, um jetzt mehr Pflegekräfte zu bekommen." (Familienbund der Katholiken/Sascha Nicolai/KNA)