Berlin, 01. April 2021 – Angesichts des 20. Jahrestages des Karlsruher Pflegeurteils weist der Familienbund der Katholiken darauf hin, dass dieses für alle Familien in Deutschland wichtige Urteil immer noch nicht umgesetzt ist. „Das Pflegeurteil von 2001 ist ein Meilenstein für die Familiengerechtigkeit“, sagte Familienbundpräsident Ulrich Hoffmann heute in Berlin. „Es ist seither geltendes Verfassungsrecht, dass die kostenaufwendige Erziehung von Kindern in der auf dem Generationenvertrag basierenden Sozialversicherung einen generativen Beitrag darstellt, den der Gesetzgeber bei der Bemessung der monetären Sozialversicherungsbeiträge beitragsmindernd berücksichtigen muss. Auf die verfassungsrechtlich gebotene Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen warten Familien aber bis heute. Die Untätigkeit des Gesetzgebers führt nicht nur zu einer ungerechten Benachteiligung von Familien, sondern auch zu Familien- und Kinderarmut. Auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ist eine Umsetzung des Karlsruher Urteils dringend notwendig, um ökonomische Anreize gegen Kinder zu beseitigen und die Sozialversicherung zu stabilisieren.“ Der Familienbund fordert einen Kinderfreibetrag in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, wie es ihn im Steuerrecht bereits gibt.
Vor 20 Jahren, am 3. April 2001, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, es sei „mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.“ Zugleich haben die Richter darauf hingewiesen, dass sich die Tragweite ihrer Ausführungen nicht auf die soziale Pflegeversicherung beschränkt, sondern dass „die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein wird“. Dazu Ulrich Hoffmann: „Dass das Bundesverfassungsgericht auch auf die anderen – 2001 gar nicht zur Entscheidung anstehenden – Sozialversicherungszweige verwiesen hat, kann man nur als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Die Übertragbarkeit der richterlichen Argumentation liegt auf der Hand. Insbesondere ist die Kindererziehung auch in der umlagefinanzierten Rentenversicherung ein systemnotwendiger Beitrag. Schließlich handelt es sich bei der Rentenversicherung um das Musterbeispiel eines Generationenvertrages. Umso unverständlicher ist es, dass die Bundesregierung im Beitragsrecht der Rentenversicherung keine Notwendigkeit für Familienentlastungen sieht.“ Der Familienbund kritisiert auch die unterbliebene Beitragsentlastung für Familien in der gesetzlichen Krankenversicherung. „Die sogenannte ‚beitragsfreie‘ Mitversicherung ändert an der Benachteiligung der Familien nichts“, so Ulrich Hoffmann. „Das hat das Bundesverfassungsgericht für die Pflegeversicherung ausdrücklich betont, in der es die Familienversicherung auch gibt. Zudem kann von Beitragsfreiheit keine Rede sein, da das gesamte Familieneinkommen verbeitragt wird – inklusive dem Einkommensanteil, der für den Unterhalt der Kinder vorgesehen ist.“
Eine minimale Umsetzung des Karlsruher Urteils erfolgte nur in der sozialen Pflegeversicherung. Hier hat der Gesetzgeber 2005 einen Beitragszuschlag von 0,25 Prozentpunkten für Kinderlose eingeführt. Eine aus Sicht des Familienbundes unzureichende und sachwidrige Lösung, wie Ulrich Hoffmann erläutert: „Statt Familien abhängig von der Kinderzahl und entsprechend der Höhe ihres generativen Beitrages zu entlasten, werden Kinderlose belastet. Statt die Entlastung auf diejenigen zu konzentrieren, die in der aktuellen Familienphase Zeit und Geld für Kinder aufwenden müssen, werden Eltern lebenslang entlastet. Statt den generativen Beitrag der Höhe nach zumindest einigermaßen adäquat anzuerkennen, wird nur eine minimale Beitragsdifferenzierung vorgenommen. Ganz zu schweigen davon, dass die generativen Beiträge der Familien bei allen seit 2005 erfolgten Erhöhungen des Pflegeversicherungsbeitrages außer Acht geblieben sind – sogar bei der Finanzierung des Pflegevorsorgefonds, der ab 2035 an die Stelle fehlender Beitragszahler treten und damit das Demographieproblem abfedern soll, für das die Familien nicht verantwortlich sind. Es ist eindeutig: Auch in der Pflegeversicherung besteht eine verfassungswidrige Lage. Auch hier muss das Urteil von 2001 erst noch umgesetzt werden.“