Am Ende sind politische Koalitionen wohl auch nichts anderes als menschliche Beziehungen, mit all ihren Schwächen, Verwerfungen und Interessenkonflikten, wie sie zum Beispiel mitunter auch in Ehen auftreten können. Das müssen sich die katholischen Ehe- und Lebensberater gesagt haben, als sie dieser Tage auf den Scherbenhaufen der zerrütteten Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition blickten. Die Einschätzung des Berufsverbandes Katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberatung, der auch Mitglied im Familienbund ist, verblüfft zunächst: Die Experten sehen noch Chancen für eine Fortsetzung der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition. "Wenn alle sagen, dass sie unbedingt eine Regierung bilden wollen, könnte das trotzdem klappen", sagte der Vorsitzende des Bundesverbands der Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und Lebensberater, Martin Kopf, am Dienstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freising. Auch in der Eheberatung könnten Paare sich trotz heftiger gegenseitiger Verletzung auf eine Fortsetzung ihrer Beziehung verständigen, wenn bei beiden Partnern der feste Wille dazu bestehe. Kopf hält die Einsetzung eines Vermittlers für sinnvoll, der in Einzelgesprächen herausfinden könnte, "wie weit jeder zu gehen bereit ist - ohne dass die Partner gleich davon erfahren und es für ihre Zwecke ausnutzen". Das übergreifende Ziel müsse es sein, aus Verantwortung für Staat und Demokratie eine Regierung zu bilden. Dass die Verhandlungen geplatzt sind, führt der Bundesvorsitzende auf eine "ungeheure Angst" von CSU, Grünen und FDP zurück, von ihren Wählern als Umfaller verurteilt zu werden. Einen ganz ähnlichen Weg, wie ihn die katholischen Ehe- und Lebensberater vorschlagen, wird in den nächsten Tagen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Einzelgesprächen mit den Parteivorsitzenden einschlagen. Unterdessen will die SPD offenbar noch einmal über eine große Koalition nachdenken, auch um Neuwahlen zu vermeiden, wie es aus der Parteiführung am Dienstag heißt. Am Montag hatte der SPD-Parteivorstand nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen einstimmig beschlossen, dass die Sozialdemokraten „angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung“ stünden. Dieser Beschluss war in der Sitzung der Bundestagsfraktion am Montagabend auf scharfe Kritik gestoßen. In der mehrstündigen Sitzung hätten sich 40 Abgeordnete zu Wort gemeldet, von denen sich fast alle gegen eine Parlamentsauflösung gewandt hätten, berichteten Teilnehmer. Am Donnerstag wird der SPD-Vorsitzende Martin Schulz mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammentreffen.
Auch der Familienbund der Katholiken zeigte sich enttäuscht über das Ende der Verhandlungen. Gerade mit Blick auf die Situation von Familien, so Bundesgeschäftsführer Matthias Dantlgraber, hätte eine Jamaika-Koalition gute Ergebnisse erzielen können. Das sagte er am Montag der Nachrichtenplattform „katholisch.de“. Maßnahmen wie eine Anhebung des Kindergeldes, eine Ausweitung des Kinderzuschlags oder ein Ausbau der Mütterrente seien nun zunächst in weite Ferne gerückt. Einen Schaden für die Demokratie sah Dantlgraber nach dem Scheitern der Sondierungen aber ebenfalls nicht: "Die Demokratie lebt vom diskursiven Austausch. Politische Verhandlungen können jedoch nur dann demokratisch sein, wenn sie auch ergebnisoffen geführt werden. Das schließt die Möglichkeit ihres Scheiterns wesentlich mit ein". Der Bundesgeschäftsführer äußerte sich zudem optimistisch, dass die Bundesrepublik die aktuelle Situation "souverän meistern" werde. Es liege jetzt an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), mit der Lage umzugehen. Neue Einsichten zum Thema „Kindswohl“ stellte das Deutsche Jugendinstitut auf seiner wissenschaftlichen Jahrestagung am Montag und Dienstag in Berlin zur Diskussion.
Der familienpolitische Think Tank regt mehr Forschung zum Kindeswohl bei sogenannter sozialer Elternschaft an. Sie wünsche sich in vielen Bereichen ein "sehr viel differenzierteres Bild", sagte die Forschungsdirektorin des Deutschen Jugendinstituts, Sabine Walper, am Dienstag in Berlin. Es gebe zwar Forschungen zur Stiefelternschaft, dennoch wisse man "sehr, sehr wenig". Bei Kindern in Pflegefamilien sei es "fast noch extremer". Walper äußerte sich bei der Wissenschaftlichen Jahrestagung des DJI, die unter dem Thema "Konstant im Wandel" stand. Walper forderte, das Kindeswohl in der Familienpolitik und im Familienrecht stärker in den Blick zu nehmen. Auch beim sogenannten Wechselmodell, also der abwechselnden Betreuung von Kindern durch die getrennten Elternteile, wird nach Walpers Einschätzung die "Schadlosigkeit" für das Kind "zu optimistisch" eingeschätzt. Die Leiterin der Abteilung Familienpolitik beim DJI, Karin Jurczyk, konstatierte einen Wandel vom traditionellen Familienbild hin zu einem "Sorge- und Tätigkeitszusammenhang", bei dem "bestimmte Leistungen in möglichst guter Beziehungsqualität" erbracht würden. (Familienbund der Katholiken/Sascha Nicolai)