08.09.2023
Stellungnahme zum Referentenentwurf: Gesetz zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen
Anders, als es die öffentliche Debatte in den vergangen Monaten zuweilen vermuten lässt, steht der Begriff Kindergrundsicherung nicht für ein klar umrissenes Konzept. Er ist vielmehr ein weit gefasster Sammelbegriff für unterschiedliche Modelle zur finanziellen Absicherung des Kinderexistenzminimums außerhalb der bisherigen Grundsicherungssysteme.[1] Der vorliegende Gesetzentwurf ist hierfür ein weiteres Beispiel. Daher ist es für den Familienbund der Katholiken umso wichtiger, genau hinzuschauen, was sich hinter dem Namen verbirgt.
I. Einleitung
Es ist ihm auch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Einführung einer Kindergrundsicherung genannten Leistung kein Selbstzweck und auch nicht per se ein Erfolg ist. Sie ist nur dann sinnvoll, wenn sie für armutsgefährdete Familien und Kinder maßgebliche Verbesserungen bringt. Im vorliegenden Gesetzentwurf fällt es jedoch schwer zu erkennen, wo die Verbesserungen für Familien durch die Einführung der Kindergrundsicherung konkret liegen sollen. Sie finden sich keinesfalls bei der Leistungshöhe, insbesondere weil auf eine Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums verzichtet und der Finanzrahmen für diese „umfassendste sozialpolitische Reform seit vielen Jahren“ mit 2,4 Milliarden eng gesteckt wurde. Generell erscheint die Kindergrundsicherung nah am bestehenden Leistungssystem aus Kindergeld und Kinderzuschlag: Das Kindergeld wird zum Garantiebetrag, der Kinderzuschlag geht im zukünftigen Zusatzbetrag auf. Viele Regelungen, die bereits heute beim Kindergeld und beim Kinderzuschlag Anwendung finden, sollen weiter gelten. Es wird also viel Bestehendes fortgeführt, wenn auch unter neuem Namen.
Der Kernaspekt der Kindergrundsicherung scheint daher im Wesentlichen eine Verwaltungsreform zu sein, so wie es sich seit einiger Zeit als Kompromisslinie der Regierung abgezeichnet hat. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt mit Zweifeln behaftet, ob die Übertragung der Zuständigkeit von den Jobcentern auf den neu geschaffenen Familienservice einen echten Mehrwert für Familien bietet. Es gibt, insbesondere seitens der Länder und Kommunen, teilweise erhebliche Bedenken an der Umstrukturierung, die aus Sicht des Familienbundes bisher nicht hinreichend ausgeräumt wurden. Insbesondere der Wechsel der Zuständigkeit bei der Verwaltung ist möglicherweise durch den Wunsch veranlasst, armutsgefährdete Kinder aus dem von manchen als stigmatisierend empfundenen Bezug von Leistungen nach SGB II bzw. XII herauszulösen. Es ist aber sicherzustellen, dass diese symbolische Veränderung nicht um den Preis handfester Nachteile erfolgt, wenn sich die Verwaltungsumstellung möglicherweise als deutlich problematischer und störanfälliger erweisen sollte, als derzeit von der Regierung erhofft.[2] Um keine Missverständnisse zu erzeugen: Es ist durchaus richtig, die verwaltungsmäßige Abwicklung der Familienleistungen auf den Prüfstand zu stellen. Es ist aber fraglich, ob die Bundesregierung im Rahmen dieser anspruchsvollen Aufgabe bereits die beste Lösung gefunden hat. Das Ringen um die effizienteste Verwaltungslösung war bisher kein Schwerpunkt der Debatte.
Insgesamt stützt der vorgelegte Gesetzentwurf den Eindruck, dass eine umfangreiche Umetikettierung bisheriger Regelungen und größere Umstellungen auf der Verwaltungsebene vor allem dazu dienen, den Koalitionsvertrag formal zu erfüllen und sowohl den Dissens innerhalb der Bundesregierung und als auch den im Grunde geringen Gehalt der Reform zu überdecken. Bei näherer Betrachtung des Entwurfs stellt sich der Familienbund durchaus die Frage, ob nicht eine beherzte Reform des bestehenden Systems aus Kindergeld und Kinderzuschlag zu deutlich greifbareren Erfolgen für die armen und armutsgefährdeten Familien geführt hätte. Beispielsweise hätte man beim Kinderzuschlag die bestehenden Mindesteinkommensgrenzen reformieren und die Regelungen zur Abschmelzung und Einkommensanrechnung für Familien günstiger gestalten können. Der vorliegende Entwurf ist demnach auch dort am überzeugendsten, wo er in der Sache eine Reform des Kinderzuschlages darstellt.
Der Familienbund hat mit dem reformierten Kindergeld ein eigenes Konzept zur besseren Förderung von Familien, gerade mit geringem Einkommen, entwickelt.[3] Grundsätzlich hält er den Begriff des (existenzsichernden) Kindergeldes für geeigneter als den aus dem Sozialrecht entlehnten und ordnungspolitisch missverständlichen Begriff der Kindergrundsicherung, In der Debatte sind für ihn aber nicht die Begriffe entscheidend, sondern das Ziel, die Situation armutsgefährdeter Familien zu verbessern. Das Ergebnis des vorliegenden Referentenentwurfs, der in Teilen noch nicht einmal ressortabgestimmt ist, betrachtet er skeptisch. Zu kritisieren ist auch die im Rahmen einer angestrebten grundsätzlichen Neuausrichtung der familienpolitischen Leistungen sehr kurze Zeitspanne für die Einreichung der Stellungnahme. Dies wird aus Sicht des Familienbunds der Sache und vor allem den Familien, um die es geht, nicht gerecht.
Aufgrund der Kürze der Zeit für eine Stellungnahme konzentrieren sich die weiteren Ausführungen in erster Linie auf die für den Familienbund zentralen Punkte. Weitere Kritikpunkte können den bisherigen Papieren des Familienbunds zur Kindergrundsicherung vom Juli und März 2023 entnommen werden. Der Familienbund wird sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu weiteren, hier noch nicht behandelten Punkten äußern.
Die zentralen Kritikpunkte aus Sicht des Familienbundes der Katholiken sind:
- Keine Neudefinition des Existenzminimums für Kinder: Stattdessen erfolgt nur eine Überarbeitung der Verteilschlüssel, die als Neudefinition des Existenzminimums „verkauft“ wird.
- Leistungshöhe des Zusatzbetrages: Diese fällt (Stand 2023) teilweise niedriger aus als die bisherige Summe aus dem Kindergeld und dem Kinderzuschlag, Verlautbarte Leistungszuwächse ab Inkrafttreten resultieren aus automatischen Anpassungen, die auch auf den Kinderzuschlag erhöhend gewirkt hätten.
- Gespaltene Anspruchsinhaberschaft: Der Garantiebetrag ist richtigerweise ein Anspruch der Eltern. Die Zuordnung des Zusatzbetrags und der BuT-Leistungen zum Kind konterkariert das Ziel der Leistungsbündelung zu „einer“ einheitlichen Leistung.
- Anrechnung von Einkommen: Das Festhalten an der Abschmelzrate von 45 Prozent sichert lediglich den Status Quo. Wünschenswert wäre eine deutliche Absenkung auf ca. 30 Prozent gewesen, um den Bezug eigenen Erwerbseinkommens zu stärken. Die Anhebung der Abschmelzrate bei höherem Unterhalt ist eine Verschlechterung und überzeugt auch inhaltlich nicht.
- Reform des Unterhaltsvorschusses: Der Bezug des Unterhaltsvorschusses ist ab dem 6. Lebensjahr an neue Bedingungen geknüpft, was wohl als Verwaltungsvereinfachung gedacht ist. Jedoch wird der Unterhaltsvorschuss dadurch zur Sozialleistung des Staates, obwohl der andere Elternteil in der Verantwortung für das Kind ist.
- Verwaltungsreform möglicherweise problembehaftet:Eine verwaltungsmäßige Vereinfachung ist nicht hinreichend erkennbar. Familien müssen in vielen Fällen weiterhin zu unterschiedlichen Behörden. Die Zuständigkeitswechsel und organisatorischen Änderungen führen möglicherweise zu Problemen.
II. Zum Gesetzesentwurf im Einzelnen
1. Neudefinition des kindlichen Existenzminimums
Der Familienbund kritisiert, dass der vorliegende Gesetzentwurf keine Neubestimmung des kindlichen Existenzminimums enthält. Die Häufung der Krisen in den vergangenen Monaten, von der Pandemie bis zur Rekordinflation, hat viele Familien an den Rand der Belastungsgrenze gebracht und teilweise auch darüber hinaus. Bis in die Mitte der Gesellschaft hinein erleben Familien derzeit deutliche Einkommenseinbußen und gehören zu den am stärksten von Preissteigerungen betroffenen Gruppen. Diese Entwicklung trifft auf eine seit Jahren im Ergebnis gleichbleibend hohe Zahl der Kinder- und Jugendarmut in Deutschland. Jedes fünfte Kind ist hierzulande armutsgefährdet.[4] Das höchste Armutsrisiko tragen dabei Alleinerziehende, Mehrkindfamilien und Familien mit Migrationshintergrund.[5] Hinzu kommen allgemeine bildungs-, sozial- und klimapolitische Herausforderungen. Zuletzt hat die Pandemie nachdrücklich gezeigt, dass die Teilhabe- und Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen nach wie vor in hohem Maß von den Ressourcen der einzelnen Familien abhängen. Oft gelingt es zudem nicht, entsprechende Nachteile durch öffentliche Angebote und Institutionen, wie Schulen und Kitas, auszugleichen und für tatsächliche Chancengleichheit zu sorgen.[6]
Offenkundig ist auch, dass die bestehenden Instrumente zur Existenzsicherung Armut bei Kindern und ihren Familien derzeit nur ungenügend verhindern. Wesentliche Ursachen hierfür sind zum einen grundlegende methodische Mängel bei der Ermittlung des kindlichen Existenzminimums, die faktisch im bestehenden Grundsicherungssystem zu einer systematischen Unterdeckung der existenziellen Bedarfe führen. Daneben aber auch eine starke Ausdifferenzierung des Hilfesystems, die zu vielfältigen Anlaufstellen, komplexen Antragsverfahren und einer nur schwer zu durchschauenden Verrechnung der verschiedenen Geldleistungen führt. Daraus ergeben sich teils hohe bürokratische Hürden für den (regelmäßigen) Erhalt der zur Existenzsicherung benötigten Leistungen sowie erhebliche Schnittstellenprobleme beim Aufeinandertreffen mehrerer Leistungen. Die Kombination von hohem Aufwand bei unklaren Erfolgsaussichten wirkt sich schließlich negativ auf die Inanspruchnahme der Unterstützungsleistungen aus, zudem sind einige der Leistungen offenbar den Familien nicht bekannt.
Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des Familienbunds äußerst kritisch zu bewerten, dass im vorliegenden Gesetzentwurf ein finanziell unterlegtes Bekenntnis der Regierung zum Schutz von Kindern und Familien vor Armut fehlt. Für das Jahr der Einführung sind für die neue Leistung lediglich 2,4 Milliarden Euro an Mehrkosten im Haushalt hinterlegt. Auf die notwendige Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums wurde gänzlich verzichtet. Mit dem jetzt vereinbarten Finanzrahmen lässt sich mehr Teilhabe für Kinder ebenso wenig realisieren wie das Ziel, dass die Bedarfe der ärmsten Kinder „stärker als bisher an den Haushaltsausgaben der gesellschaftlichen Mitte ausgerichtet werden“[7]. Schon gar nicht entsteht mit dieser Summe Raum für eine verbesserte Förderung von Familien bis in die untere Mittelschicht hinein.
Dieses enttäuschende Ergebnis hat sich bereits in den interministeriellen Verhandlungen abgezeichnet. Die im Gesetzentwurf wohl noch unter Vorbehalt der Ressortzustimmung stehende Ankündigung, die sozialrechtlichen Verteilungsschlüssel zu überarbeiten (s. Begründung, allgem.Teil, S. 52), ist verglichen damit nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auch wenn das Ausmaß hier noch nicht vollends absehbar ist, da die Beratungen in der Regierung offenbar noch anhalten, dürften diese Veränderungen in einem sehr niedrigen Bereich anzusiedeln sein.
Dem gegenüber steht der Fakt, dass die aktuelle Ermittlung des grundlegenden sozialrechtlichen Mindestbedarfs seit vielen Jahren von Wissenschaft und Verbänden kritisiert wird und aufgrund methodischer Mängel wie unberücksichtigter verdeckter Armut und nicht sachgerechter Abzüge als unzureichend gilt. Aufgrund der fehlenden Neuberechnung setzen sich diese Mängel bei der Kindergrundsicherung nun fort. Diese Fortschreibung bestehender sozialrechtlicher Leistungen und Bezugshöhen nur unter neuem Namen ist aus Sicht des Familienbundes jedoch eine Absage an die ursprüngliche Idee der Kindergrundsicherung.
Der Familienbund fordert daher spätestens im Zuge der Evaluation und Weiterentwicklung der Kindergrundsicherung eine realistische Neuberechnung des Existenzminimums für Kinder. Bei dieser Neuberechnung darf es keinesfalls darum gehen, das Existenzminimum klein zu rechnen, um steigende Sozialausgaben zu vermeiden. Stattdessen muss die Ermittlung der (auch der Kindergrundsicherung zugrundeliegenden) Regelbedarfe endlich einheitlich, transparent und methodisch konsistent sowie sach- und realitätsgerecht erfolgen. Die bestehende Praxis nachträglicher Abschläge vom errechneten Ergebnis und die Einbeziehung armutsgefährdeter Haushalte in die Grundlage der Bedarfsermittlung konterkarieren das gewählte Statistikmodell und müssen beendet werden.
Eine Neuermittlung der Bedarfe in diesem Zuge muss auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe einschließen, gleichzeitig muss deren Abruf verbessert werden. Der vorliegende Gesetzentwurf macht noch einmal ausdrücklich klar, dass diese Leistungen zum Existenzminimum des Kindes als einklagbare Rechte dazugehören (vgl. § 1 Abs. 1 BKG-E; Begründung, Teil A, S. 51). Bisher entzündet sich viel Kritik daran, dass es zur Umsetzung dieses Anspruchs ein entsprechendes Angebot vor Ort geben muss, das den vielfältigen Interessen und Neigungen der Kinder und Jugendlichen möglichst weitreichend entspricht. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Auszahlung von Beträgen als Lösung, die den Familien und Kindern die größtmögliche Freiheit bei der Entscheidung lässt. Im Gesetzentwurf wurde davon jedoch Abstand genommen. Stattdessen ist eine mit dem Zusatzbetrag verknüpfte automatische Mitbeantragung des Teilhabebetrages und des Schulstarterpakets vorgesehen (§ 26 Abs. 2 S.2 BKG-E), was für die Familien durchaus als entlastend bewertet werden kann. Allerdings sind beim 15-Euro-Teilhabebetrag weiter Nachweise über tatsächliche Aufwendungen Voraussetzung (§ 21 BKG-E). Weitere Leistungen im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets müssen wie bisher zusätzlich beantragt werden.
Insgesamt werden die BuT-Leistungen Teilhabebetrag und Schulstarterpaket damit als Bestandteil des Kindergrundsicherungssystems definiert (§ 1 Abs. 1 BKG-E; Begründung, Teil A, S. 51), ohne dass sie jedoch direkt inkludiert sind. Die bisherigen Regelungen im SGB II und XII dazu entfallen. Die Zuständigkeit dafür soll auf die Familienkassen übergehen (§ 23, Abs. 1 Satz 1 BKG-E; Begründung Teil B, S. 78). Bisher sind dafür beim Empfängern von Bürgergeld die Jobcenter zuständig bzw. beim Bezug von anderen Sozialleistungen die jeweils zuständige Stelle. Hier kann es für Familien dazu kommen, dass sie mehr Behörden aufsuchen müssen als bisher. Das widerspricht dem Vereinfachungsgedanken der Kindergrundsicherung.
Langfristig ist vorgesehen, die Leistungen in einem Kinderchancenportal zu bündeln, das ab dem 01.01.2029 den Dienst aufnehmen soll (§ 21 Abs. 1 S. 3 BKG-E). Bis zu diesem Stichtag sind offenbar weitere Vereinfachungen geplant, um für Familien den Zugang zu diesen Leistungen zu erleichtern, die jedoch nicht im Detail ausgeführt werden (s. Begründung, S. 51 und 76).
Beide Varianten, sowohl die direkte Auszahlung als auch ein gebündeltes Portal, können mit Blick auf die Erhöhung der Inanspruchnahme zielführend sein, wenn sie entsprechend gestaltet sind. Zwar wäre die Entscheidungsfreiheit für die Familien bei einer direkten Auszahlung höher, andererseits können mit einem deutschlandweiten Kinderchancenportal Wahlmöglichkeiten für Kinder entstehen, die ebenfalls die nötige Öffnung und Entscheidungsfreiheit ermöglichen. So wären u.a. auch Angebote außerhalb des eigenen Wohnortes nutzbar, etwa bei Klassenfahrten oder in der Nachbargemeinde. Hieran wird nicht zuletzt deutlich, dass auch Mobilität ein wichtiges Thema im Rahmen der Existenzsicherung ist.
Ergänzend weist der Familienbund darauf hin, dass eine Erhöhung des Teilhabebetrages zwingend angebracht wäre. Die Summe von 15 Euro monatlich steht so seit Einführung des SGB II im Jahr 2005 im Gesetz. Es ist mehr als zweifelhaft, ob sich für diesen Betrag überhaupt noch gesellschaftliche Teilhabe in Vereinen, Musikschulen etc. realisieren lässt.
2. Bemessung Garantiebetrag und Zusatzbetrag
Auch ohne Neuberechnung des Existenzminimums soll die Kindergrundsicherung das neue primäre Leistungssystem für Kinder und junge Menschen bis 25 Jahre werden. Zu den zwei grundlegenden Komponenten Garantiebetrag, der für alle Kinder gleich ausfallen soll, sowie dem Zusatzbetrag, der abhängig vom Alter und Einkommen des Kindes sowie seiner Eltern gewährt wird, werden auch Teile des Bildungs- und Teilhabepakets addiert, die zwar zur Kindergrundsicherung zählen, aber nicht als Leistungsbestandteil in einen der beiden Beträge integriert sind.
Das Bürgergeld oder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII soll nur noch als Auffangsystem für kindliche Sonder- und Mehrbedarfe sowie zur ergänzenden Bedarfsdeckung fortbestehen (Begründung, Teil B, S.60). Während sich der Garantiebetrag ganz überwiegend an den bestehenden Regelungen des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) und des Einkommenssteuergesetzes (EStG) orientiert und daher von der Wirkungsweise identisch mit dem heutigen Kindergeld ist, lehnt sich der Zusatzbetrag deutlich an die bisherigen Regelungen des Kinderzuschlags an, was die Beantragung, Bewilligung und Anrechnung betrifft.
Beide Beträge werden übereinstimmend bis zum 25. Lebensjahr gewährt. Der Zusatzbetrag ist zudem an die Voraussetzungen des Bezugs des Garantiebetrags geknüpft. Beides erscheint in sich stimmig. Bei dem neu einzuführenden Kindergarantiebetrag handelt es sich im Grunde um eine überwiegend semantische Änderung. Sowohl seine Ausgestaltung als auch seine rechtliche Einbindung entspricht dem aktuellen Kindergeld.
Wie das Kindergeld wird der Garantiebetrag im Wesentlichen im Einkommenssteuergesetz geregelt. Das ist systematisch zwingend, so lange daran festgehalten werden soll, das die steuerliche Freistellung des Kinderexistenzminimums dadurch gewährleitest wird (vgl. § 31 Abs. 1 f. EStG). Es fällt auf, dass der Entwurf viele der im Einkommenssteuergesetz notwendigen begrifflichen Folgeänderungen nicht enthält. Aus Sicht des Familienbundes ist grundsätzlich positiv zu bewerten, dass erstmals gesetzlich geregelt wird, dass sich die Höhe des Kindergarantiebetrages an der Entwicklung der Freibeträge für Kinder „orientiert“ (§ 66 Abs. 3 EStG-E; § 7 S. 2 BKG-E; Begründung, Teil A, S. 48 und Teil B, S.109). Das ist nichts Neues und entspricht den bisherigen Gepflogenheiten. Es ist ständige Praxis, dass die Kinderfreibeträge und das Kindergeld immer gleichzeitig erhöht werden. Wenn nur die Kinderfreibeträge erhöht würden und das Kindergeld gleichbliebe, würde die Familienförderung reduziert. Für gefährlich hält der Familienbund daher die Formulierung „orientiert“. Diese darf keinesfalls als Zurückfallen hinter die bisherige Praxis verstanden werden. Hier muss verbindlicher formuliert werden:
§ 66 Abs. 3 EStG-E bzw. § 7 S. 2 BKG-E:
Der Kindergarantiebetrag erhöht sich entsprechend der Entwicklung der Freibeträge für Kinder nach § 31 Satz 1 in Verbindung mit § 32 Absatz 6 Satz 1.
Es ist zudem wichtig, dass die Steuerfreibeträge ungekürzt erhalten bleiben. Sie gewährleisten eine regelmäßige Erhöhung des Kindergeldes bzw. Garantiebetrages. Und anders als vielfach im Zuge der Debatte um die Kindergrundsicherung behauptet, findet im Rahmen der Verknüpfung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld/Garantiebetrag eben keine umgekehrte „Förderung von unten nach oben“ statt, d.h. von gering verdienenden Familien mit Kindergeld/Garantiebetrag hin zu gutverdienenden mit dem Kinderfreibetrag. Der Kinderfreibetrag hat mit Familienförderung nichts zu tun, sondern gewährleistet die verfassungsrechtlich erforderliche horizontale Steuergerechtigkeit zwischen Personen mit gleichem Einkommen, aber unterschiedlicher Kinderzahl. Er folgt also einer reinen Steuerlogik und ist keine Sozialleistung. Die verknüpfte Auszahlung von Kinderfreibetrag und Kindergeld/Kindergarantiebetrag sorgt immer wieder für Missverständnisse, die sich auch deswegen halten, weil sie leider in der politischen Debatte ständig – und teilweise auch wider besseres Wissen – wiederholt werden.
Die Anspruchsinhaberschaft für den Garantiebetrag liegt - wie beim Kindergeld – bei den Eltern, es soll jedoch dennoch dem Kind zugerechnet werden (§ 11 Abs. 1 S. 2 BKG-E). Es ist nicht ganz klar, welche Folgen dadurch in der Wechselwirkung mit anderen Vorschriften entstehen. Das sollte genauer geklärt werden.
Nicht ausdrücklich aufgegriffen wird im Gesetzentwurf dagegen der ursprüngliche Plan, das Kindergeld, sofern die Familie Leistungen nach dem SGB II erhält und das Kind Einkommen oder Leistungen bezieht, die sein Existenzminimum übersteigen, nicht länger der Bedarfsgemeinschaft (oder neu der Familiengemeinschaft) zuzurechnen. Der Familienbund plädiert dafür, diesen Passus ergänzend zur Erläuterung für das SGB XII (Begründung, Teil B, S.120) eindeutig in das Kindergrundsicherungsgesetz aufzunehmen. Damit wird zum einen die Funktion des Kindergeldes zur Existenzsicherung des Kindes bekräftigt, zum anderen verbessert sich dadurch das Haushaltseinkommen der Familien als ein weiterer Beitrag zur Armutsbekämpfung.
Beim Zusatzbetrag gibt es trotz der regulatorischen Nähe zum Kinderzuschlag einige wesentliche Änderungen. Diese sind der Wegfall der Mindesteinkommensgrenze (900 Euro Paare, 600 Euro Alleinerziehende), sowie die Abkehr von der nötigen Deckung des sozialrechtlichen Bedarfs durch den Bezug des Kinderzuschlags. Beide aktuellen Grundvoraussetzungen für den Bezug sind beim Kinderzusatzbetrag nicht mehr nötig (Begründung, Teil B, S. 66). In dieser Vereinfachung liegt eine wesentliche Chance, zukünftig deutlich mehr Familien zu erreichen, da die Leistung unkomplizierter wird. Die Bundesregierung sollte jedoch einen transparenten Vergleich vorlegen, an welcher Stelle durch die Systemänderung Verbesserungen erreicht werden und in welchen Einkommensbereichen möglicherweise Schlechterstellungen entstehen. Es ist ein wesentlicher Mangel der politischen Debatte um die Kindergrundsicherung, dass der Öffentlichkeit keine unterschiedlichen Modelle für Varianten der Umsetzung mit Angaben zu den jeweiligen Kosten und den Gewinnern und Verlierern der Reform vorgelegt wurden.
Damit können grundsätzlich alle Familien, auch jene im vollen Bezug von Leistungen nach SGB II oder XII, den Zusatzbetrag beziehen. Allerdings handelt es sich dabei in erster Linie um einen Zuordnungsanspruch, nicht um eine Leistungsausweitung. Der Zusatzbetrag umfasst nach § 11 Abs. 1 BKG-E die sozialrechtlichen Regelsätze nach § 20 und § 23 SGB II sowie die aus dem jeweils gültigen Existenzminimumbericht abgeleitete Wohnkostenpauschale für das Kind. Beides sind Leistungen, die bereits heute im Rahmen des SGB II oder XII (Bürgergeld, Sozialhilfe) für Kinder gewährt werden und die mit Einführung der Kindergrundsicherung über den Zusatzbetrag und nicht mehr über die bisherigen Leistungssysteme gewährt werden.
Gleichzeitig sieht der Gesetzentwurf vor, dass sich der Zusatzbetrag, anders als bisher, nicht mehr am steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum des Kindes und damit am steuerrechtlichen Existenzminimum orientiert, sondern am sozialrechtlichen Existenzminimum. In der Begründung wird als Grund die nötige Hinwendung zu einem „menschenwürdigen Existenzminimum“ angeführt (Begründung, Teil B, S. 68). Das ist insofern fragwürdig, als das sozialrechtliche Existenzminimum die Basis für das steuerrechtliche Existenzminimum darstellt. Lediglich die Altersdifferenzierung wird dort durch einen für jedes Kind gleichen Betrag ersetzt, wodurch ein Durchschnittsbetrag entsteht, der beim Zusatzbetrag vermieden werden soll. Es ist zu beachten, dass bereits der aktuelle Kinderzuschlag gem. § 6a Abs. 2 S. 1 BKGG ein Anknüpfung an das sächliche Existenzminimum enthält (in Verbindung mit dem Kindergeld und dem Anteil für Bildung und Teilhabe).
Diese Veränderung der Bezugsgröße hat weitreichende Konsequenzen, wie das folgende Rechenbeispiel basierend auf den aktuell gültigen Werten zeigt.
Altersgruppe 14-17 | 420 € |
| = 540 € |
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Altersgruppe 6-13 | 348 € | + 120 € | = 468 € | + 29,50 BuT |
Altersgruppe 0-5 | 318 € |
| = 438 € |
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Steuerrechtliches Existenzminimum 2023 (Kinderzuschlag + Kindergeld + BuT)
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sächl. Existenzminimum | 6024 € | :12 | = 502 € |
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Daraus ergibt sich Rahmen der geplanten Kindergrundsicherung eine finanzielle Besserstellung nur in der ältesten Altersgruppe, aber eben auch eine Schlechterstellung der beiden jüngeren Altersgruppen. Würde man die im Gesetzentwurf geplanten Regelungen bereits heute umsetzen, läge die Leistungshöhe der maximal möglichen Kindergrundsicherung bei den beiden jüngeren Altersgruppen faktisch unterhalb der aktuellen maximalen Fördersumme aus Kindergeld und Kinderzuschlag (250 € + 250 €).
Die Aussage, dass es nicht zu Verschlechterungen kommen wird, mögen vor dem Zeithorizont 2025 und der dann durch automatische Anpassungen höheren Regelbedarfe und Wohnkosten richtig sein.[8] Einen tatsächlichen Leistungszuwachs durch die Neueinführung der Kindergrundsicherung gibt es jedoch nicht, eher scheint das Gegenteil der Fall.
Auch vor diesem Hintergrund wäre es für die Familien nur transparent, die jeweiligen Höchstbeträge in Abhängigkeit vom Alter im Gesetz konkret auszuführen, was beim Zusatzbetrag wie beim Garantiebetrag bisher nicht der Fall ist. Auch wenn dies damit zusammenhängen dürfte, dass anderenfalls regelmäßige Anpassungen des Gesetzes im Zuge der jährlichen Veränderungen bei Regelsätzen und / oder Wohnkosten nötig werden, sollte dies im Interesse der Transparenz und Verständlichkeit für Familien dennoch überlegt werden,
Es ist positiv zu bewerten, dass im Zuge der Kindergrundsicherung eine regelmäßige Dynamisierung der Leistung entsprechend der Weiterentwicklung der Regelsätze und der entsprechenden Daten des gültigen Existenzminimumberichts vorgesehen ist. Eine solche Dynamisierung enthält jedoch bereits - mit dem Bezugspunkt „steuerfrei zu stellendes sächliches Existenzminimums eines Kindes“ - bereits der aktuelle Kinderzuschlag.
3. Anspruch auf Kindergrundsicherung
Der Gesetzentwurf sieht unterschiedliche Anspruchsinhaber für die einzelnen Bestandteile der Kindergrundsicherung vor (Vgl. § 3, § 9 und § 11, § 20). Während der Garantiebetrag wie das bisherige Kindergeld ein Leistungsanspruch der Eltern ist, werden der Zusatzbetrag und die Leistungen für Bildung und Teilhabe - abweichend zu den bisher geltenden Regelungen – als Anspruch des Kindes definiert.
In der entsprechenden Begründung wird dazu sowohl auf Betonung der eigenen Rechtsstellung des Kindes in Verbindung mit dem Recht auf individuelle Sicherung des Existenzminimums laut Bundesverfassungsgericht verwiesen. Diese Lösung überzeugt aus Sicht des Familienbundes nicht. Dass trotz des eingeforderten individuellen Rechts auf Sicherung des Existenzminimums eine Leistung für Kinder mithilfe eines Anspruch der Eltern gewährt werden kann, zeigt nicht zuletzt die bisherige Rechtslage beim Kinderzuschlag. Der Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums setzt insbesondere die individuell passende Leistung, nicht aber zwingend die jeweilige individuelle Anspruchsinhaberschaft voraus (jedenfalls dann, wenn notfalls noch ein individueller Anspruch als Rückfalloption besteht). Im Grunde dient die Anspruchsinhaberschaft des Kindes beim Zusatzbetrag realpolitisch wohl vor allem dazu, die Leistung nicht an Kinder in anderen EU-Ländern zahlen zu müssen, deren Eltern in Deutschland arbeiten oder ihren regelmäßigen Wohnsitz in Deutschland haben, wie es etwa beim Kindergeld der Fall ist. Die Aufspaltung der Anspruchsinhaberschaft dient damit in erster Linie der Kostensenkung – und erst danach der Stärkung der Rechtsstellung des Kindes.
Der Familienbund plädiert für einen durchgehenden Anspruch der Eltern und damit für ein Festhalten an den gegenwärtigen Regelungen. Trotz des Namens Kindergrundsicherung sollte die Anspruchsinhaberschaft für Garantie- und Zusatzbetrag insgesamt bei den Eltern liegen. Das entspricht dem Inhalt des Artikels 6 Grundgesetz: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Es sind in erster Linie die Eltern, die für ihre Kinder sorgen und nicht der Staat. Dem Subsidiaritätsprinzip folgend, unterstützt er die Eltern bei der Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht. Wenn sich zudem der Zahlbetrag nach dem Einkommen der Eltern richtet und über die Auszahlung auch der steuerliche Kinderfreibetrag der Eltern berücksichtigt werden soll, ist die Anspruchsinhaberschaft der Eltern auch systematisch richtig. Um die Leistung möglichst einfach zu gestalten, sollten keinesfalls unterschiedliche Anspruchsberechtigungen für Garantie- und Zusatzbetrag gewählt werden. Die bestehenden Regelungen beim Kindergeld zur Auszahlung an volljährige Kinder ließen sich bei der Kindergrundsicherung fortsetzen.
Eine solche einheitliche Anspruchsinhaberschaft stünde zusätzlich in Übereinstimmung mit den Zielen der Leistungsvereinfachung und Bündelung. Die vorgesehene Aufspaltung bei der Anspruchsregelung konterkariert dagegen diese Ziele: Es wird unter dieser Bedingung schwer, noch von „einer“ Leistung zu sprechen, die mit der Kindergrundsicherung einmal anvisiert war.
Aus anderen Gründen fraglich erscheint die Regelung aus § 3 Abs. 3 Satz 1 zum Garantiebetrag, nach der ausschließlich bei Vorliegen der Steuer-ID des betreffenden Kindes der Anspruch wirksam wird. Es erscheint dem Familienbund mindestens zweifelhaft, ob eine solche Verknüpfung insbesondere bei existenzsichernden Leistungen zulässig ist.
Bei der Inanspruchnahmequote setzt sich der vorliegende Entwurf das Ziel, perspektivisch über das aktuelle Niveau beim Kinderzuschlag deutlich hinauszukommen und plant für das Einführungsjahr 2025 eine Anhebung auf 47 Prozent, für das Jahr 2026 auf 60 Prozent und für 2027 und 2028 auf dann 70 beziehungsweise 80 Prozent (Begründung, Teil A, S. 57). Gerade weil es sich um ein wichtiges Ziel der Armutsbekämpfung handelt und eine Ausweitung des Leistungsumfangs bestenfalls in marginaler Größenordnung stattfindet, hätten diese Zielmarken ambitionierter ausfallen können.
Wünschenswert wäre zudem eine Ausweitung des Bewilligungszeitraums von zurzeit 6 Monaten (in Übereinstimmung mit der bisherigen Regelung beim Kinderzuschlag) auf mindestens 12 Monate. Dies vereinfacht gerade für Familien mit mehreren Kindern die Beantragung und Organisation. Vor diesem Hintergrund ist es positiv zu bewerten, dass für alle Kinder einer Familie offenbar stets der gleiche Bewilligungszeitraum gelten soll.(§ 18 BKG-E, Begründung, Teil B, S. 73) Auch das nach § 18 BKG-E ein neuer Bewilligungszeitraum beginnt, wenn sich die Zusammensetzung der Familiengemeinschaft ändert, erscheint folgerichtig. Insgesamt müssen Familien darüber informiert werden, in welchen Fällen Meldungen nötig sind, gerade in Abgrenzung zum ansonsten offenbar weitgehend automatisierten Verfahren. Ansonsten werden leistungsverändernde Tatbestände unter Umständen seitens der Familien zu ihrem Nachteil längere Zeit außer Acht gelassen.
4. Anrechnung Einkommen und Abschmelzrate
Vorgesehen ist, das anzurechnendes Einkommen des Kindes oder der Eltern wie bisher beim Kinderzuschlag regelmäßig zu 45 Prozent auf die Leistungshöhe angerechnet wird. D.h., von jedem in Frage kommenden Euro wirken sich nur 0,45 € leistungsmindernd aus. Die restlichen 0,55 € stehen der Familie zusätzlich zur Verfügung.
Diese Regelung gilt für alle Einkommensarten gleichermaßen. Grundlage für den Abschmelzpunkt ist wie bisher im Kinderzuschlag die Bemessungsgrenze, d.h. Einkommen bis zur Höhe des sozialrechtlichen Mindestbedarfs der Eltern laut SGB II bleibt anrechnungsfrei.
Insbesondere für Alleinerziehende mit Bezug von SGB II-Leistungen ergibt sich aus dieser Veränderung in Verbindung mit der Ausweitung der Kindergrundsicherung auf den Kreis der Bezieher:innen von SGB II-Leistungen eine zu begrüßende vorteilhafte Anrechnung des Unterhalts bzw. des Unterhaltsvorschuss. Bisher wird bei Bezug von Bürgergeld der Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss vollständig leistungsmindernd angerechnet.
Damit steht insbesondere diesen stark armutsgefährdeten Haushalten spürbar mehr Einkommen im Monat zur Verfügung. Sofern die ebenfalls angestrebte Reform des Unterhaltsvorschuss diesen Vorteil nicht wieder zunichtemacht (siehe Punkt 5 dieser Stellungnahme).
Zugleich ist eine Ausweitung der regulären Abschmelzrate bei besonders hohen Unterhaltszahlungen vorgesehen. Diese betragen ab 500 Euro 55 %, ab 750 Euro 65 % und ab 1.000 Euro 75 %. Der Familienbund weist in diesem Zusammenhang auf einen Widerspruch hin. In § 12 BKG-E heißt es wörtlich, „Unterhaltsleistungen, die 500 Euro(…), 750 Euro(…), 1.000 Euro übersteigen“. In der Begründung wird dagegen angegeben, dass die reguläre Abschmelzrate bis 499 Euro greift. Gemeint sind daher vermutlich eher Unterhaltsleistungen ab 500 Euro etc.
Diese Veränderung stellt eine deutliche Verschlechterung im Vergleich zur bisherigen Regelung im Kinderzuschlag dar, obwohl seitens der Politik ausgeschlossen wurde, dass es mit Einführung der Kindergrundsicherung zu Verschlechterungen kommt. Auch inhaltlich vermag diese Regelung nicht zu überzeugen. Der auf die Leistung anzurechnende Unterhaltsbetrag übersteigt schon kurz über den genannten 500 Euro den bisher maximal zulässigen Zusatzbetrag (Werte von 2023), so dass bereits ab dieser Schwelle zumindest aktuell kaum ein Zusatzbetrag zusätzlich zum Unterhalt gewährt würde.
Der Gesetzentwurf führt mit der Familiengemeinschaft (§ 2, Abs.1 BKG-E) zudem einen neuen Begriff ein, indem sowohl die bisherige Bedarfsgemeinschaft nach SGB II als auch die Haushaltsgemeinschaft nach SGB XII aufgehen sollen. Als Eltern gelten dabei automatisch die in dieser Gemeinschaft lebenden Erwachsenen ohne die Kinder (§13, Abs.2). Das Einkommen oder Vermögen eines leiblichen Elternteils, der ausgezogen ist und nicht mehr im Haushalt wohnt, bleibt dagegen außer Betracht. Hier sollte geprüft werden, inwieweit diese offene Formulierung in jedem Fall passt und ob nicht doch auf das Vorliegen einer zumindest rechtlichen oder sozialen Elternschaft abgestellt werden sollte.
Grundsätzlich hat sich der Familienbund für eine deutlich geringere Abschmelzrate ausgesprochen. Sie sollte nicht mehr als 30 Prozent betragen. Auf diese Weise bliebe auch die Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit lohnenswert, da durch die Kombination von (zusätzlichem) Erwerbseinkommen und Kindergrundsicherung für Familien ein deutlich spürbarer Zugewinn beim Haushaltseinkommen entstünde.
5. Reform Unterhaltsvorschuss, Artikel 2
Mit der ebenfalls vorgeschlagenen Reform des Unterhaltsvorschuss, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Einführung der Kindergrundsicherung steht, sondern unabhängig dazu erfolgen soll, findet im Grunde eine Umkehrung der Haltung gegenüber den (meist weiblichen alleinerziehenden) Bezieher:innen von SGBII-Leistungen statt. Während beim Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung die Bindung an eigenes Einkommen sowie die Überwindung des Hilfebedarfs zugunsten dieser Gruppe gerade abgeschafft wird, soll sie offenbar beim Unterhaltsvorschuss neu eingeführt werden.
Der Entwurf sieht vor, dass Unterhaltsvorschuss ab dem 6. Lebensjahr bzw. ab dem Schuleintritt des Kindes nur noch dann gewährt wird, wenn a) das Kind weder Leistungen nach SGB II oder Kinderzusatzbetrag bezieht oder b) dadurch beim Kind Hilfebedürftigkeit nach SGB II bzw. ein Anspruch auf Kinderzusatzbetrag vermieden wird oder c) der mit dem Kind zusammenlebende Elternteil mindestens ein Einkommen in Höhe von 600 Euro verfügt.
Dabei handelt es sich sowohl um die Ausweitung der bereits bestehenden Einkommenserfordernisse für Unterhaltsvorschusszahlungen zwischen dem 12. Bis 18. Lebensjahr als auch um das Aufgreifen der bereits vor einigen Jahren kursierenden Forderung der Kommunen, das durch die Vorrangigkeit der Leistung oft parallele Nebeneinander von Vorschussleistung und SGB II-Leistung zu beenden. Als Begründung dafür wurde insbesondere der hohe Verwaltungsaufwand ohne Leistungsveränderungen bei den Alleinerziehenden angeführt.
Aus dieser Regelung folgt für Alleinerziehende ein dem Grunde nach verringerter Anspruch auf Unterhaltsvorschuss. Damit geht nicht in jedem Fall eine finanzielle Schlechterstellung einher, wohl aber bedeutet es einen Wegfall des sichtbaren Anspruchs auf die Unterstützungsleistung des anderen Elternteils. Immerhin ist der Unterhaltsvorschuss von seiner Anlage her keine normale Sozialleistung sondern ein vorübergehender Ersatz für ausbleibende Unterhaltsleistungen des zweiten Elternteils ans Kind. Mit der vorgenommenen Einschränkung und Unkenntlichmachung dieses Anrechts wird dieser Elternteil quasi aus seiner Verantwortung entlassen. An seine Stelle tritt automatisch eine Staatsleistung. Es stellt sich zudem die Frage, ob der Anspruch auf die Unterhaltsleistung im Falle der vorgesehenen Neuausrichtung dann automatisch auf den Staat übergeht und inwieweit ein Rückgriff dann verfolgt würde. Der Familienbund bewertet diese geplante Herauslösung der Kinder aus der Vorschussleistung hin zum SGB II mit Blick auf die jeweilige Rolle von Eltern und Staat als kritisch.
Zudem entsteht augenscheinlich ein Widerspruch zu § 10 BKG-E. Dort findet sich in Anlehnung an die bestehende Regelung zum Kinderzuschlag die Aufforderung, vor Inanspruchnahme des Kinderzusatzbetrags zunächst für anderes Einkommen des Kindes zu sorgen. Dies betrifft in besonderer Weise Alleinerziehende und deren Pflicht zunächst Unterhalt einzufordern oder bei Ausfall dieser Leistung Unterhaltsvorschuss zu beantragen.
Andere Reformüberlegungen im Bereich des Unterhaltsrechts werden dagegen leider erneut nicht aufgegriffen. So wäre es eine Chance gewesen, im Zuge der Einführung der Kindergrundsicherung die Altersgrenzen zwischen Sozialrecht und Unterhaltsrecht anzugleichen. Dies hätte Verbesserungen bei den Regelbedarfen für die mittlere Altersgruppe zur Folge (Stufe 5 würde dann für 6-11jährige gelten, ab 12 würde die höchste Stufe 4 gelten) und zwar genau dann, wenn mit Einsetzen der Pubertät auch ein nochmals erheblicher Kostendruck durch Wachstum, weiterführende Schulbildung und dem zunehmenden Wunsch nach Teilhabe besteht. Zugleich ergäbe sich durch die neue Einheitlichkeit der Altersgruppen eine entscheidende Vereinfachung an der Schnittstelle zwischen Sozial- und Unterhaltsrecht.
Zusätzlich hätte mit dem Gesetzentwurf endlich die nur hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhaltsvorschuss eingeführt werden können, die insbesondere von den Familienverbänden seit Jahren als systematisch richtigere Lösung gefordert wird. Damit wäre im Sinne der Kindergrundsicherung zugleich eine weitere armutsvermeidende Maßnahme umgesetzt wurden.
III. Schlussbemerkungen
Der Familienbund weist darauf hin, dass Kinder in aller Regel finanziell arm sind, weil sie in armen Familien leben. Oder im Fall junger Erwachsener aus armen Familien stammen. Diesen Zusammenhang gilt es weiter im Blick zu behalten. Denn Maßnahmen, die einzelne Familienmitglieder bei der Existenzsicherung herausgreifen, laufen Gefahr, Lebensrealitäten zu verfehlen, Wechselwirkungen in Familien zu verdecken oder andere unmittelbare Familienmitglieder als Adressat politischer Armutsbekämpfung in den Hintergrund geraten zu lassen. Es muss deutlich bleiben, dass zuerst die Eltern und Familien für die Unterhaltsbedarfe der Kinder zuständig und daher entsprechend zu stärken und zu befähigen sind. Eine grundsätzliche staatliche Zuständigkeit für die Existenzsicherung von Kindern an den Familien vorbei lehnt der Familienbund ab. Bereits die singuläre Senkung des Armutsrisikos ausschließlich der Kinder, ohne gleichermaßen den Blick auf deren Familien zu richten, läuft Gefahr, an der alltäglichen Realität des Familienlebens und -wirtschaftens vorbeizugehen.
Insgesamt bleibt der vorliegende Referentenentwurf hinter den Erwartungen an eine sachorientierte Neugestaltung existenzsichernden Hilfeleistungen für Kinder und Familien zurück. Insgesamt stellt sich die Frage, inwieweit tatsächlich die Reduzierung von Komplexität das vorrangige Leitmotiv bei der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung war. Vielfach scheinen eher ideologisch begründete Struktur– und Zuständigkeitslösungen statt eines pragmatischen, sach- und kompetenzorientierten Lösungsansatzes gewählt worden zu sein.
An nicht wenigen Stellen entsteht der Eindruck von Aktionismus zugunsten einer teils überbordenden Umsortierung, die einer echten Vereinfachung von Leistungen und Verwaltung eher im Weg zu stehen droht. Der Erfolg der Kindergrundsicherung bemisst sich jedoch nicht am Grad der Veränderungen, sondern daran, wie gut es gelingt, die damit verbundenen sozialpolitischen Ziele in der Praxis zu erreichen. Sinnvoll ist sie also nur dann, wenn sie insbesondere für armutsgefährdete Familien und Kinder maßgebliche Verbesserungen bringt. Die Bedarfe dieser Familien, Kinder und Jugendlichen müssen daher im Vordergrund stehen. Anhand dieses Maßstabs gilt es, die Kindergrundsicherung hinsichtlich Funktion, Zuständigkeit und Abwicklung gewinnbringend auszugestalten, so dass - da von einer spürbaren Leistungsverbesserung derzeit nicht auszugehen ist - zumindest die Ziele eines erleichterten Zugangs und einer Vereinfachung der Antrags- und Bewilligungsprozesse bestmöglich erreicht werden. Weder dieser Maßstab noch der klare Fokus auf diese Ziele sind nach Meinung des Familienbunds im vorliegenden Gesetzentwurf deutlich erkennbar.
[1] Vor der Bundestagswahl 2021 haben SPD, GRÜNE und LINKE den Begriff für jeweils unterschiedliche Konzepte verwendet (die FDP sprach vom „Kinderchancengeld). Anfang 2023 ist bekannt geworden, was das Bundesfamilienministerium derzeit unter einer Kindergrundsicherung versteht (Eckpunkte-Entwurf des BMFSFJ vom 18.01.2023). Von diesen Eckpunkten unterscheidet sich wiederum der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung. Unter den von Verbänden vorgelegten Modellen ist das Modell des „Bündnis Kindergrundsicherung“ am bekanntesten (http://www.kinderarmut-hat-folgen.de/). Derzeit wird überwiegend eine „einkommensabhängige Kindergrundsicherung“ propagiert, bei welcher der Zahlbetrag mit steigendem Einkommen der Eltern abgeschmolzen wird. Eine für alle Kinder in gleicher Höhe ausgezahlte Kindergrundsicherung hatte – bis zu seinem Beitritt zum Bündnis Kindergrundsicherung – der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) vertreten. Teilweise wird in der politischen Diskussion auch die Gewährleistung von Infrastruktur für Familien unter den Begriff der Kindergrundsicherung subsumiert (vgl. z.B. SPD-Wahlprogramm 2021).
[2] Generell ergibt es wenig Sinn, Grundsicherungssysteme für grundsätzlich stigmatisierend zu halten. Sie sind vielmehr so auszugestalten, dass sie nicht als stigmatisierend empfunden werden. Eine gute Grundsicherung ist eine tragende Säule des Sozialstaates, die nicht schlechtgeredet werden sollte.
[3] Dieses Modell basiert auf einer Zusammenlegung von Kindergeld und Kinderzuschlag zu einer neuen Leistung, die mit steigendem Einkommen linear abgeschmolzen wird. Anders als im geltenden Recht wird die Entlastung durch die Kinderfreibeträge zusätzlich gewährt (und nicht mit dem Kindergeld verrechnet). Familienförderung und verfassungsgemäße Besteuerung werden auf diese Weise sauber getrennt: Alle Familien werden gerecht besteuert und Familien mit unteren und mittleren Einkommen erhalten darüber hinaus eine Familienförderung in transparenter Höhe. Die Abschmelzung der Familienförderung ist dabei so gewählt, dass sich eine deutliche Besserstellung insbesondere von Familien mit kleinen Einkommen ergibt. Für besser verdienende Familien ergibt sich der Vorteil höherer Nettoeinkommen und der Unabhängigkeit von staatlichen Transfers. Mehr Informationen: https://www.familienbund.org/sites/familienbund.org/public/familienbund_positionspapier_kindergeld.pdf.
[4]Kinder- und Jugendarmut in Deutschland. Factsheet Bertelsmann-Stiftung, 2023.
[5] Vgl. Neunter Familienbericht. Eltern sein in Deutschland, 2021
[6] Vgl. hierzu u.a. Nationaler Bildungsbericht, 2022; Bundesgesundheitsministerium: Abschlussbericht Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche in Corona, 2023; Ländermonitor frühkindliche Bildungssysteme, Bertelsmann-Stiftung, 2022.
[7] So formulierten das Ziel noch die „Eckpunkte zur Ausgestaltung der Kindergrundsicherung“ des BMFSFJ vom 18. Januar 2023.
[8]Die zuletzt in den Medien verlautbarten Höchstsummen zwischen 530€ und 636€ für die gesamte Kindergrundsicherung, die durchaus über der Summe aus Kindergeld und Kinderzuschlag von 500€ liegen, ergeben sich durch automatische Fortschreibungen der Regelsätze und wohl auch Wohnkosten bis 2025. Diese hätte es auch ohne die Kindergrundsicherung gegeben, sie wären zudem ebenfalls in das steuerliche Existenzminimum mit eingeflossen, woraufhin auch der Kinderzuschlag hätte erhöht werden müssen.
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